China fühlt sich von den USA bedrängt

 

Der US-Präsident macht sich endlich auf, die Rolle der USA im Pazifik neu zu definieren. Peking fürchtet eine Einkreisungspolitik und registriert genau, wie sich die Nachbarländer Amerika annähern.

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Obama geht auf große Asientour

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Foto: Infografik Die Welt

Barack Obama fliegt am Dienstag nach Japan, Südkorea, Malaysia und auf die Philippinen. Der einwöchige Trip mitten in der Ukraine-Krise mag auf deutsche Betrachter wie eine Pflichtübung wirken. Für Obama hingegen ist die Reise wichtig, sehr wichtig sogar und überfällig noch dazu, in mehrfacher Hinsicht. Wie lange war kein US-Präsident mehr in Manila? Seit 2003. Und wie lange nicht in Kuala Lumpur? Seit fast 50 Jahren nicht. Wenn Barack Obama in Malaysia zu Füßen der Petronas Towers landet, wird ein neues Kapitel zwischen Amerika und dem muslimischen Land aufgeschlagen – eigentlich aber ein neues Kapitel in Asien.

 

Die Reise ist ein Meilenstein. Mit ihr zementiert der amerikanische Präsident die „Hinwendung zu Asien und dem Pazifik“ – die Gleichwertigkeit transatlantischer und transpazifischer Beziehungen der USA. Das Weiße Haus hat sie seit Obamas Wahl 2009 angestrebt und vor gut einem Jahr in mehreren Reden öffentlich angekündigt.

 

Ist man da verschreckt als Europäer? Die Amerikaner sind wieder einmal auf dem besten Weg, ihre Nase in Angelegenheiten zu stecken, die sie nichts angehen? Europa, schwer mit sich selbst beschäftigt, könnte das so sehen. Für Amerika gilt ein anderer Maßstab. Es hat den Pazifik so sehr im Blick wie den Atlantik – und das nicht wegen der schönen Südseeinseln.

 

Obama sieht Fenster der Gelegenheit

 

Mit amerikanischen Augen betrachtet ist der Pazifik dabei, zu einem chinesischen Ozean zu werden. Das ist nicht automatisch schlecht, nur weil es um China geht. Aber aus Sicht der USA kennt die Geschichte zu viele Beispiele dafür, dass Amerika einen hohen Preis dafür bezahlte, zu lange weggeschaut zu haben. Pearl Harbor war so ein Preis. Und für manche gilt auch der Vietnamkrieg als die Folge dessen, dass Washington sich nicht 1945 sofort und entschlossen auf die Seite Vietnams stellte, sondern auf die Seite der Kolonialmacht Frankreich.

 

Den Fehler will Obama nicht noch einmal machen. Er sieht ein Fenster der Gelegenheit, Amerikas Rolle im Pazifik rechtzeitig neu zu definieren. Aber dieses Fenster beginnt sich zu schließen. Die Reise kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt.

 

Ursprünglich standen nur Japan, Malaysia und die Philippinen auf dem Programm. Der Stop in Südkorea wurde kurzfristig ins Programm gehoben. Obama möchte Seoul vor einem denkbaren vierten nordkoreanischen Atomtest den Rücken stärken. Das ist für den Reisezweck hilfreich. Die diplomatische Front gegen den möglichen Atomtest verkörpert eine Interessengemeinsamkeit mit Peking. Sie mildert den Eindruck, Amerika wolle mit der Neuausrichtung Chinas östliches und südliches Vorfeld zu einer strategischen Aufmarschregion gegen das Reich der Mitte machen.

 

Auf der Suche nach Trittsicherheit

 

Genau das fürchtet die chinesische Führung. Bei der Hinwendung zu Asien hat Obama erklärtermaßen nicht nur Korea im Blick, sondern den ganzen asiatischen Bogen von Japan über Südostasien bis nach Australien. Er umschließt China im Osten wie ein Halbmond und gilt in den Überlegungen amerikanischer Militärs als die zweite große potenzielle Bruchzone neben der Linie Marokko–Pakistan.

 

Auf diesem Halbmond suchen die USA wieder Trittsicherheit. Sie wollen den Anrainern Chinas die Angst nehmen, mit dem gewaltigen asiatischen Zentralstaat alleingelassen zu werden. Lockere Bündnisse wie die Asean-Gruppierung aus dem Kalten Krieg reichen dafür ebenso wenig aus wie der amerikanische Stützpunkt Guam. Solche punktuellen Allianzen und Militärpräsenzen erfüllten gegenüber Maos rückständigem Land ihren Zweck.

 

Ein China hingegen, das zur wirtschaftlichen und militärischen Supermacht heranwächst, wird ohne stärkeres US-Engagement ganz Asien in seinen politischen Bann ziehen. Wenn Amerika nicht wie 1941 gegenüber Japan im Pazifik ohne Verbündete dastehen will, muss es jetzt allmählich Vorsorge treffen. Peking hat kurz vor Obamas Abflug auf ungewöhnlich deutliche Weise erkennen lassen, dass es diesen Punkt genau verstanden hat und eine rote Linie ziehen will – ohne Amerika zu verprellen.

 

Obama war lange mit Innenpolitik beschäftigt

 

Lange schien es freilich, als würden der Washingtoner Rhetorik keine Taten folgen. Die Umsetzung der Neuausrichtung war, wie so viele außenpolitische Initiativen der Regierung Obama, wegen kniffliger oder auch unvorhersehbarer Hindernisse zunächst auf Grund gelaufen. Das Fenster nach Asien stand offen, aber dahinter war Obama mit innenpolitischen Problemen beschäftigt.

 

Dabei war die Absicht von Anfang an klar. Im Februar 2009, drei Wochen nach Obamas Vereidigung, hatte die damalige Außenministerin Hillary Clinton ihre erste Auslandsreise demonstrativ nach Asien unternommen und das in einer Rede auch deutlich betont. Auf dieser Reise ließ sie durchblicken, dass die Vereinigten Staaten Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer nicht gutheißen. Obama, zeitweilig in Indonesien aufgewachsen, beabsichtigte, ein Jahr später mit einem Staatsbesuch in Djakarta zu zeigen, dass es ihm mit der Neuausrichtung ernst sei.

 

Es kam nicht dazu. Der Kampf um die amerikanische Krankenkassenreform im Repräsentantenhaus war wichtiger. Die Reise nach Indonesien und Australien wurde auf Juni 2010 verschoben. Wenige Tage vor dem geplanten Aufbruch explodierte eine Bohrinsel im Golf von Mexiko. Obama verschob den Besuch zum zweiten Mal. Im November flog er dann nach Indien und Indonesien. Weitere Reisen würden in Kürze folgen, hieß es damals. Der „arabische Frühling“, die Umstürze in Tunesien und Ägypten, machten ihm 2011 einen Strich durch die Rechnung.

 

Im Oktober des Jahres publizierte Hillary Clinton aber einen Aufsatz mit dem Titel „Amerikas pazifisches Jahrhundert“ im Fachmagazin „Foreign Policy“. In ihm kam der Begriff „Schwenk“ (pivot) drei Mal vor. Der „Pivot to Asia“, der „Schwenk nach Asien“, wurde in außenpolitischen Kreisen sofort populär und führte zu erhöhter Aufmerksamkeit sowohl in Peking als auch in den europäischen Hauptstädten. Unmittelbar nach seiner Wiederwahl ließ Obama die Welt wissen, dass Clintons Aufsatz keineswegs nur eine feuilletonistische Betrachtung war.

 

Bereits zwölf Tage nach dem Urnengang eilte er nach Thailand und Birma. Obamas damaliger Sicherheitsberater Tom Donilon verwendete kurz darauf in einer Rede erstmals den Begriff „Neuausrichtung nach Asien“. Er betonte, es gehe nicht darum, die Konfrontation mit China zu suchen. Für den Herbst 2013 kündigte Washington eine Reise Obamas nach Malaysia und auf die Philippinen an. Es kam aber der Streit mit den Republikanern um den Haushalt 2014 dazwischen. Die Regierung drohte erstmals seit 1996 ohne Geld dazustehen. Obama sagte die Reise ab. Wieder war es mit Asien nichts.

 

Pilotprojekt Freihandelszone

 

In dieser Woche nun, vier Jahre nach dem Startschuss, lässt Obama den Worten Taten folgen. Das Pilotprojekt der pazifischen Dimension seiner Außenpolitik ist die Freihandelszone Transpazifische Partnerschaft (TPP), der die USA gern angehören möchten. Ein Teil der Gespräche Obamas wird sich darum drehen, letzte Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die TPP wurde 2005 von Brunei, Singapur, Neuseeland und Chile aus der Taufe gehoben.

 

Das Abkommen enthielt eine Beitrittsklausel, für die sich die Vereinigten Staaten 2008 unter George W. Bush plötzlich interessierten. Nur Wochen später bewarben sich auch Australien, Peru und Vietnam um die Aufnahme. Ab 2010 folgten Malaysia, Japan, Kanada und Mexiko. Zuletzt ließen im vergangenen Herbst Taiwan und Südkorea den Wunsch nach Teilhabe durchblicken.

 

Es ist ein Vorhaben nach Obamas Geschmack, das aber in den USA (und in manchen Partnerländern) protektionistische Instinkte weckt – die unvermeidlichen Sorgen vor Arbeitsplatzverlusten, vor einem Souveränitätsverzicht, der in unfaire Wettbewerbsnachteile münden könnte, und vor der Verstrickung in neue unübersichtliche Allianzen. Obama will die Sorgen auf der Reise ausräumen. Er möchte den Beitritt der USA nach der Kongresswahl im Eilverfahren ratifizieren. Dafür benötigt er das Plazet eines Parlaments, das nach derzeitiger Umfragelage von den Republikanern beherrscht sein könnte. Möglichst viele Kritikpunkte, die ihm den Wahlkampf erschweren könnten, sollen bei der Reise nun vom Tisch kommen. Das reicht vom Urheberschutz bis zur Regelung des Marktzugangs für Hersteller generischer Medikamente.

 

Argwöhnische Blicke aus Peking

 

Die TPP hat aber auch China auf den Plan gerufen. Aus seiner Sicht bildet sich hier unvermittelt eine westlich dominierte Konkurrenz zum Asien-Pazifik-Wirtschaftsrat Apec, in welchem China eine tragende Rolle spielt.

 

Chinas Blick für die Entstehung von Machtkreisen rund um das Reich der Mitte ist seit 2000 Jahren geschärft. Es wittert potenziell feindliche Bündnisse bereits im Geburtsstadium. Die Führung richtet ihre Sicherheitspolitik darauf aus, Chinas gesamtes Umfeld militärisch, wirtschaftlich und diplomatisch so zu gestalten, dass Allianzen gegen Peking nicht mehr möglich sind.

 

Den Norden und Westen hat China mit dem Shanghai-Kooperationsrat abgesichert, dessen Mitglieder und Beobachter von Weißrussland und Moskau über die Türkei und den Iran bis nach Indien reichen. Den Südosten und Osten möchte Peking mit dem Apec-Rat konsolidieren. Mitten hinein stößt nun, zunächst auf dem Wege der TPP, Obama mit seinem „Schwenk nach Asien“.

 

Ohne diesen Schwenk, so glaubt Peking, würde Japan im Streit um die Diaoyu-/Senkaku-Inseln im Ostchinesischen Meer kaum so auftrumpfen. Ohne Amerikas Schwenk auch würden Länder wie Vietnam, Malaysia oder die Philippinen im Streit um die Spratly- und Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer nicht so hartnäckig auftreten.

 

Chinas Nachbarn suchen Schutz

 

Peking geht davon aus, dass die verstärkte amerikanische Präsenz sich über kurz oder lang nicht auf wirtschaftspolitisches Engagement beschränken wird. Die Philippinen haben wegen der chinesischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer Angst. Manila sucht nach Jahren der politischen Distanz den engen Schulterschluss zu Amerika. Es hat 2012 den USA wieder die Nutzung des 1991 zwangsgeräumten Militärstützpunkts Subic Bay gestattet.

 

Noch dramatischer könnte Obamas Besuch in Kuala Lumpur die Lage vor Chinas Südküste verändern. Zwischen den USA und Malaysia herrschte jahrzehntelang eine politische Eiszeit. Die neue malaysische Regierung aber ist amerikafreundlich. Das hat, wen wundert es, ebenfalls mit Chinas Machtansprüchen zu tun.

 

Kuala Lumpur, Manila oder auch Hanoi haben natürlich Hillary Clintons Kritik an Chinas Gebietsansprüchen nicht vergessen. Peking noch weniger. Alle wissen, dass Clinton Obamas Nachfolgerin werden kann. China ist deshalb offenbar entschlossen, rechtzeitig Flagge zu zeigen und eine rote Linie zu definieren, solange noch Zeit dafür ist.

 

Das tat es zunächst durch die demonstrative Anhebung des Militäretats – und dann durch harte Worte gegenüber US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, der drei Wochen vor Obamas Abflug China besuchte. Fan Changlong, einer der beiden Stellvertreter des Parteichefs Xi Jinping in der Zentralen Militärkommission der Kommunistischen Partei, also aus dem innersten Machtzirkel, brachte das Gespräch auf seine Familiengeschichte. Fans Onkel sei von Japanern im Weltkrieg ermordet worden, sagte er zu Hagel. Fan warnte ihn zudem vor einer weitergehenden Unterstützung der südostasiatischen Nachbarn Chinas.

 

Letzteres tat auch Hagels chinesischer Amtskollege im Verteidigungsministerium. Besonders über die Philippinen hat die chinesische Seite sich anscheinend scharf, ja fast verächtlich geäußert. Die von der KP Chinas publizierte Tageszeitung „Global Times“ schrieb tags darauf, selten seien in Regierungsgesprächen so deutliche Worte gefallen. Die Botschaft war: Ermutigt unsere Anrainer nicht im Streit über Chinas Seegrenzen.

 

Peking fürchtet die Einkreisung

 

Pekings Herrscher fürchten, Obamas Reise sei Bestandteil einer neuen Einkreisungspolitik. Sie haben Fantasie genug, sich mögliche Weiterungen auszumalen. Peking hat die stetig engeren Beziehungen Amerikas mit der Mongolei und mit Vietnam minutiös im Blick. Sie beobachtet mit Argusaugen Nordkoreas Annäherung an Japan, ausgerechnet während des chinesisch-japanischen Inselkonflikts.

 

Chinas Politiker wissen, dass beide Japan wegen der Kolonialzeit ab 1905 hassen, aber dass alle Koreaner genau wie die Vietnamesen seit 1000 und mehr Jahren nur ein Land wirklich fürchten – ein starkes China. Die Führung kennt selbstverständlich auch die Gerüchte, Nordkorea habe 2009 Bill Clinton bei dessen halbprivatem Pjöngjang-Besuch ein antichinesisches Bündnis angeboten. Daraus ergibt sich für Peking ein überragendes Interesse: Nordkorea darf auf gar keinen Fall eigene Atomwaffen besitzen, Punkt.

Die Kontrolle der nordkoreanischen Nuklearrüstung ist der gemeinsame politische Nenner mit Washington. China braucht Amerika, um Pjöngjang und Japan einzuhegen. Es braucht Washingtons Präsenz zur Sicherung seines Vorfelds, will aber zugleich dafür sorgen, dass Amerika das Vorfeld nicht in ein Glacis verwandelt. Pekings unverblümte Sprache vor Obamas Besuch ist eine Warnung an die USA, aber noch mehr an die Nachbarn. Sie sollen nicht denken, Washington könne die Anrainer des Reichs der Mitte straflos unter einen verstärkten amerikanischen Schutzschirm sammeln, um China einzudämmen. Barack Obama wiederum möchte genau dies. Er lehnt sich jetzt aus dem offenen Fenster und signalisiert den Ländern des asiatischen Halbmonds, dass sie mit Amerika rechnen können.

http://www.welt.de/politik/ausland/article127162371/China-fuehlt-sich-von-den-USA-bedraengt.html

 

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