Von dem Hadsch in die Haft

Vor mehr als einem Jahr wurde der Exil-Uigure (Uyghure) Hemdullah Abduweli in Mekka festgenommen. Nun will Saudi-Arabien ihn an China ausliefern – und damit die politischen Beziehungen verbessern.

Einmal nach Mekka pilgern. Die Kaaba, das schwarze würfelförmige Gebäude, umrunden, mit Millionen anderen Muslimen aus aller Welt eine Lobeshymne auf Gott anstimmen, so viele Nationen, aber alle sprechen sie dieselben Worte. Ein ganz besonderer Moment, den Milliarden Muslime weltweit ein Leben lang herbeisehnen. Einer von ihnen war Hemdullah Abduweli, ein uigurischer (uyghurischer) Gelehrter, der im Februar 2020 für die kleine Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien reiste.

Es gibt da dieses Foto von ihm: er im weißen Gewand, nicht mehr ganz frisch rasiert, um ihn herum Menschen mit Turbanen, Gebetskappen, Kopftüchern, hinter ihm leuchtet die goldene Tür der Kaaba. Das war im Februar 2020. Seitdem warten seine beiden Töchter, die im Exil in Istanbul leben, auf seine Rückkehr. Doch Abduweli ist immer noch im Golfkönigreich.

Der 54-Jährige sitzt seit über einem Jahr im Hochsicherheitsgefängnis Dhahban in Dschidda. Der Familienvater gehört der in China verfolgten Minderheit der Uiguren (Uyghuren) an. In wenigen Tagen könnten ihm und seinem Freund Nurmemet Rozi die Auslieferung nach China drohen, also Internierungslager, Folter, Zwangsarbeit, wie Hunderttausenden seines Volkes, erzählt seine Tochter, Nurin Abduweli, der SZ.

Seit Jahren setze sich ihr Vater für die Rechte seines Volkes ein, erzählt die Tochter in die Kamera, schwarze Brille, Chiffon-Kopftuch, sanfte Gesichtszüge. Zweimal war er in China im Gefängnis, seit 2016 leben sie gemeinsam im Exil in Istanbul. Vor seiner Abreise nach Saudi-Arabien habe er keinerlei Bedenken gehabt. Für ihren Vater war es die erste Pilgerfahrt. Er habe sie angerufen und geschwärmt, er sei so dankbar, dass er das erleben dürfe. Eigentlich wollte er nach der kleinen Pilgerfahrt noch den Hadsch machen, die große Pilgerfahrt. Doch wegen der Ausbreitung des Coronavirus wurden nur wenige Menschen zugelassen. Ohnehin kam alles anders.

Abduweli versteckte sich bei uigurischen (uyghurischen) Familien

Das chinesische Konsulat in der saudischen Hauptstadt Riad wurde auf ihn aufmerksam, als er vor der uigurischen Gemeinde in Saudi-Arabien eine Rede hielt. Darin rief er zum bewaffneten Kampf gegen die „chinesischen Invasoren“ auf, erzählt seine Tochter. Als er erfuhr, dass nach ihm gesucht wurde, suchte er Unterschlupf bei uigurischen (uyghurischen) Familien. Eine Ausreise über den Flughafen schien ihm zu riskant. Saudische Sicherheitskräfte nahmen ihn im November 2020 fest. Von dem Hadsch in die Haft.

Die 26-jährige Islamwissenschaftlerin spricht kein Englisch, dafür Hocharabisch und Türkisch. Wenn sie über ihren Vater spricht, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. „Er liebt Menschen, er war nicht nur ein Gelehrter, sondern auch ein Händler, der immer mit anderen ins Gespräch kommen musste.“ Zumindest gesundheitlich soll es ihm gut gehen, sagt die junge Frau.

Seit über einem Jahr hat sie die Stimme ihres Vaters nicht mehr gehört, Informationen erhält sie über die uigurische (uyghurische) Gemeinde in Saudi-Arabien. Diese haben ihr mitgeteilt, dass saudische Sicherheitskräfte ihren Vater im Gefängnis aufgesucht haben und ihn über seine Rückkehr „in wenigen Tagen“ informiert hätten. In einer Videobotschaft, die in den sozialen Netzwerken kursiert, bittet Nurin Abduweli die saudische Regierung nun um seine Freilassung.

Doch das Königreich scheint derzeit seine strategische Partnerschaft mit China vorantreiben zu wollen. Wenige Tage nach Nurin Abduwelis Videobotschaft reist eine hochkarätige Delegation aus den Golfstaaten für fünf Tage nach China, das erste Mal in dieser Konstellation. Darunter: die Außenminister Saudi-Arabiens, Kuwaits, Omans und Bahrains sowie der Generalsekretär des Golf-Kooperationsrates (GCC), Nayef bin Falah al-Hajraf.

US-Geheimdienste gehen davon aus, dass Riad mit chinesischer Hilfe Raketen baut

Für die erdölreichen Golfstaaten ist Peking zu einem der wichtigsten Käufer von Erdöl geworden. Chinas staatliche Global Times verkündete diese Woche, der Besuch könne auch „Durchbrüche“ in den Gesprächen über ein Freihandelsabkommen zwischen China und dem GCC bringen.

Auch politisch sorgt die enge Partnerschaft zwischen Saudi-Arabien und China kürzlich für gehörig Zündstoff: US-Geheimdienste gehen laut einem Bericht von CNN davon aus, dass Riad mit chinesischer Hilfe eigene ballistische Raketen baut. Ende vergangenen Jahres veröffentlichte CNN Satellitenbilder, die belegen sollen, dass Raketen an mindestens einem Standort in der Nähe der saudischen Stadt Dawadmi hergestellt werden. Dies könnte die Machtdynamik in der Region signifikant verändern und die Bemühungen der europäischen Staaten erschweren, die derzeit Gespräche mit Saudi-Arabiens Erzfeind Iran zur Rettung des Atomabkommens führen.

Und es zeigt eben auch: Die Zeit, in der sich Saudi-Arabien ausschließlich auf Rüstungsimporte aus dem Westen verlassen hat, scheint vorüber zu sein. Peking und Riad legen wenig Wert auf die Einhaltung von Menschenrechten. Rüstungsgeschäfte nur, wenn saudische Frauenaktivisten aus dem Gefängnis kommen? Solche Deals gibt es mit Peking nicht.

Für Nurin Abduweli und ihren Vater bedeutet all das nichts Gutes. Die junge Frau nahm Kontakt zu dem türkischen Außenministerium in Istanbul auf und bat um Hilfe, erzählt sie. „Doch letztlich ist es eine Sache zwischen zwei Ländern. Wir haben chinesische Pässe. Ich hoffe einfach, dass Saudi-Arabien das nicht zulässt“, sagt die Tochter.

Doch wie De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman zu den Verbrechen an den Uiguren (Uyghuren) steht, hat er in den vergangenen Jahren deutlich gemacht. So betonte der saudische Kronprinz bei einem Besuch in Peking bereits im Februar 2019 „Chinas Recht auf Maßnahmen gegen Terrorismus und Extremismus, um die nationale Sicherheit zu schützen“. Die Uiguren (Uyghuren)  blieben zwar unerwähnt, doch die Botschaft erschien eindeutig.

Hätte ihr Vater diese Rede nicht gehalten, hätten die Saudis ihn nicht festgenommen, wäre er jetzt hier bei ihr, sagt Nurin Abduweli. Sie steht auf, geht in ein anderes Zimmer und hält die Kamera auf ihre Tochter, die sich gerade im Babybett streckt. Zubaida, gerade ein Monat alt. „Wird sie ihren Opa jemals kennenlernen?“, fragt Abduweli und entschuldigt sich. Sie muss sich jetzt um die Kleine kümmern.

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/politik/saudi-arabien-china-uiguren-abduweli-1.5507567

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