Erst Lager, dann Zwangsarbeit

Chinas Regierung will fast alle Insassen aus umstrittenen Lagern in der Provinz Xinjiang (Uyghuristan) entlassen haben. Doch viele Betroffene bleiben offenbar unfrei – als Zwangsarbeiter.

Arbeiter neben der Absperrung zu einem der sogenannten Berufsbildungslager in Xinjiang: Wer raus ist, ist noch lange nicht frei

Man kann den Menschen beim Haareschneiden zusehen, beim Tanzen und beim Singen: So präsentiert die chinesische Regierung die Insassen ihrer sogenannten Berufsbildungslager in der westlichen Provinz Xinjiang (Uyghuristan) auf Touren für Journalisten und ausländische Offizielle. Die Insassen dort sind vor allem Uiguren (Uyghuren), Mitglieder der muslimischen Minderheit in der Region. Sie erzählen den ausländischen Besuchern, dass sie freiwillig dort seien, um sich von terroristischen Gedanken abbringen zu lassen – umringt von meterhohen Zäunen, Stacheldraht und Überwachungskameras.

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Bald soll ein Großteil der Berufsbildungslager leerstehen: Fast alle Insassen hätten die Gebäude verlassen, sagte Shohrat Zakir, Chef der Regionalregierung in Xinjiang  (Uyghuristan), auf einer Pressekonferenz. Demnach haben die Insassen Arbeitsverträge bei lokalen Firmen unterschrieben und gelten damit als wieder in die Gesellschaft integriert. „Mehr als 90 Prozent der Absolventen [der lagerinternen Berufsausbildungen, Anm. d. Red.] haben zufriedenstellende Jobs gefunden mit gutem Einkommen“, sagte Zakir.

Seit mehr als einem Jahr wächst international der Druck auf die chinesische Führung, die inzwischen mehr als eine Million Muslime in Lagern in Xinjiang  (Uyghuristan) interniert haben soll. In Berichten von Menschenrechtsorganisationen zeichnen ehemalige Festgehaltene ein gänzlich anderes Bild der staatlichen Lager als die offizielle Propagandashow. Sie berichten, auf die Kommunistische Partei eingeschworen worden zu sein, einige schildern physische und psychische Gewalt.

Es ist zweifelhaft, dass ihre Leidensgeschichte nun endet. „Man muss zuerst einmal sehen, dass die sogenannten Berufsbildungslager nur eine Form der außergerichtlichen Internierungen sind“, sagt Adrian Zenz. Er ist Sozialwissenschaftler und Experte für die Lager in Xinjiang  (Uyghuristan).

Die Umerziehungslager, in denen Insassen einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen würden, seien davon unabhängig. Seiner Einschätzung nach sind weniger als die Hälfte der in Xinjiang  (Uyghuristan) Internierten in einem der Berufsbildungslager untergebracht, die nun geleert werden sollen. Zenz bezieht sich auf offizielle Dokumente der chinesischen Regierung, die er einsehen konnte.

Eine Überraschung seien die geschlossenen Lager demnach nicht. „Die chinesische Regierung hatte schon im vergangenen Jahr Pläne dazu, die Menschen aus den Berufsbildungslagern heraus in verschiedene Formen der Arbeit zu schicken“, sagt Zenz. Seinen Erkenntnissen nach handelt es sich dabei um Zwangsarbeit. Meist hätten externe Firmen die Insassen ausgebildet – subventioniert von staatlichen Stellen. Zenz zufolge bekommen sie pro Teilnehmer umgerechnet etwa 230 Euro. Die Insassen verrichten einfache, körperlich anstrengende Arbeit, etwa in Textilfirmen. Auch das werde staatlich gefördert, zumindest in den ersten Jahren. Für die Firmen gebe es also genug Anreize, ehemalige Insassen zu beschäftigen.

Recherchen der Nachrichtenagentur Associated Press kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Demnach berichten Betroffene von Zwangsarbeit in Fabriken. Sie wurden nach eigenen Angaben zu einer staatlichen Stelle gebracht, wo ihnen Arbeitsverträge vorgelegt worden seien, die sie unterzeichnen mussten. Diese hätten Anstellungen in teils weit entfernten Fabriken vorgesehen und umfassten eine Laufzeit zwischen sechs Monaten und fünf Jahren.

Das Ganze laufe dann unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung, sagt Zenz. Es gebe Indizien dafür, dass dieses Zwangsarbeitssystem nicht nur bei ehemaligen Lagerinsassen angewendet werde, sondern auch bei anderen Erwachsenen aus der Region.

Es ist nicht klar, ob der internationale Druck dazu beigetragen hat, dass die chinesische Regierung zumindest die Berufsbildungslager schließt. Erst vor wenigen Tagen hatten sich 22 Nationen mit einem gemeinsamen Statement an Peking gewandt. Sie forderten, die Verfolgung der Uiguren (Uyghuren) einzustellen. China hatte seine Maßnahmen in Xinjiang  (Uyghuristan) mit Terrorismusbekämpfung und -vorbeugung begründet. Lagersystem als vorgebliche Terrorismusprävention geholt. Insgesamt 50 Staaten haben sich einer Erklärung angeschlossen, in der die Lager und die Einhaltung der Menschenrechte in der Volksrepublik gelobt werden.

Der Wert dieser Erklärung ist allerdings gering: Unterzeichner sind unter anderem Nordkorea, Syrien und Iran. Hinzu kommen Länder wie Sri Lanka, Dschibuti und Pakistan, die zu Peking in wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen.

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Quelle: https://www.spiegel.de/politik/ausland/china-unterdrueckt-uiguren-erst-lager-dann-zwangsarbeit-a-1279620.html   

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