Erdogan lässt die Uiguren(Uyghuren) fallen

Die Türkei war jahrzehntelang einer der grössten Fürsprecher der Uiguren (Uyghuren). Im Zuge der Annäherung an China ändert sich das. Während einiger Woche gab es im vergangenen Jahr beträchtliches internationales Interesse an der prekären Lage der Uiguren (Uyghuren). Die Vereinten Nationen hatten scharfe Kritik an den Umerziehungslagern für Vertreter der muslimischen Minderheit im äussersten Westen Chinas geübt. Menschenrechtsorganisationen, aber auch zahlreiche Medien zeigten in der Folge detailliert die systematische Diskriminierung und Unterdrückung des Turkvolkes durch Peking auf. Auf diplomatischer Ebene äusserten mehrere westliche Staaten ihre Besorgnis über die Lage in der Provinz Xinjiang (Uyghuristan) , dem Hauptsiedlungsgebiet der Uiguren (Uyghuren). . Auch heute noch flackert das Thema sporadisch auf.

Ausgesprochen ruhig war es jedoch die ganze Zeit über in der Türkei geblieben. Bis heute hat die Regierung von Präsident Erdogan die Lager, in denen mehr als eine Million Menschen indoktriniert und letztlich vom islamischen Glauben abgebracht werden sollen, mit keinem Wort erwähnt. Ein regierungsnaher Journalist nannte die Berichte über die Umerziehungslager sogar eine Verleumdungskampagne westlicher Medien.

Grosses Wohlwollen

Das stellt eine krasse Kehrtwende in der türkischen Politik dar. Denn Ankara galt bis vor kurzem als einer der vehementesten Fürsprecher der Uiguren (Uyghuren). . Bereits in den frühen fünfziger Jahren, nachdem die Volksrepublik auch in Ost-Turkestan (Xinjiang) ihre Macht etabliert hatte, kamen mehrere tausend uigurische Flüchtlinge in die Türkei, unter ihnen auch Isa Yusuf Alptekin, der langjährige Führer der uigurischen Unabhängigkeitsbewegung. Die türkischen Behörden unterstützten die Uiguren (Uyghuren).  von Anbeginn an, Alptekin wurde, wie viele andere, türkischer Staatsbürger.

Die administrative Vorzugsbehandlung spiegelte das öffentliche Wohlwollen im Land wider. Zentralasien, wozu kulturell auch Xinjiang (Uyghuristan) zu zählen ist, kommt als Herkunftsregion der alten Turkstämme insbesondere unter national gesinnten Türken eine mythische Bedeutung zu. Wie alle Turksprachen sind Uigurisch und Türkisch eng verwandt. Dazu kommt die religiös motivierte Solidarität mit einer verfolgten muslimischen Minderheit. Während der ethnischen Unruhen in Xinjiang (Uyghuristan) 2009 sprach der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, unter dem der politische Islam in der Türkei stark an Bedeutung gewonnen hat, von einem «Genozid».

Chinesische Uiguren (Uyghuren). bei einem Protest in Urumqi im Juli 2009. (Bild: Diego Azubel / EPA)

Erdogan inszeniert sich auch weiterhin als Beschützer bedrängter Glaubensbrüder, zuletzt etwa während der Massenflucht der Rohingya aus Burma. Missstände in China sind aber kein Thema mehr. «Unter den Uiguren (Uyghuren).  in den Umerziehungslagern haben einige sogar einen türkischen Pass», erklärt Erkin Emet, ein aus Xinjiang (Uyghuristan) stammender Lehrbeauftragter an der Universität Ankara und Sekretär des Weltkongresses der Uiguren (Uyghuren). , einer Exilorganisation mit Sitz in München. Es seien auch zahlreiche uigurische Geschäfte und Restaurants geschlossen worden, die nach türkischen Städten benannt waren. «Trotzdem schweigt die Türkei. Für uns war das ein Schock.»

Den Kurswechsel spürt die uigurische Diaspora im Land. «Bewilligungen für Kundgebungen erhalten wir kaum noch», erzählt Abduweli Ayup, ein uigurischer Flüchtling in Istanbul. Früher habe man regelmässig vor der chinesischen Botschaft in Ankara gegen die Zustände in Xinjiang (Uyghuristan) protestiert. «Heute dürfen wir uns höchstens noch in einem kleinen Park versammeln und auch das nur ohne Plakate. Natürlich geschieht dies mit Rücksicht auf China.»

«Antichinesische Propaganda»

Die uigurische Frage war immer ein Streitpunkt in den bilateralen Beziehungen zwischen China und der Türkei, auch nachdem ab 2012 die Zusammenarbeit verstärkt worden war. Zur letzten Zuspitzung kam es vor drei Jahren, als Peking Ankara vorwarf, mit seiner Asylpolitik den Zustrom radikalisierter Uiguren (Uyghuren).  nach Syrien zu fördern. Tatsächlich gibt es in den Reihen syrischer Rebellengruppen auch uigurische Kämpfer mit ihren Familien.

Seitdem jedoch der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu im August 2017 in Peking erklärte, dass die türkische Regierung fortan keine antichinesischen Aktionen oder Berichterstattungen mehr dulden werde, herrscht ein viel freundlicherer Ton zwischen den beiden Ländern. Zahlreiche Uiguren (Uyghuren).  wurden in der Folge in der Türkei verhaftet.

Der Schritt ereignete sich nicht zufällig zum Höhepunkt des Zerwürfnisses mit den traditionellen Partnern im Westen, wie Selcuk Colakoglu erklärt, der Direktor des türkischen Instituts für Asien-Pazifik-Studien in Ankara. «Als die Kritik am repressiven Kurs nach dem Putschversuch immer grösser wurde, schaute sich Ankara aktiv nach Alternativen zur Westbindung um. Und natürlich waren da auch die ökonomischen Faktoren.» Erste Vorboten wirtschaftlichen Ungemachs gab es bereits 2017. Tatsächlich stehen die Türkei und China seither in einem weit engeren Dialog, und im Juli vergangenen Jahres, noch vor dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, sprach Peking an Ankara ein Darlehen über 3,6 Milliarden Dollar.

Von einer strategischen Partnerschaft mit China ist die Türkei laut Colakoglu aber noch weit entfernt, die Hinwendung zu Peking sei eher als aussenpolitische Diversifikationsstrategie zu betrachten. Dies zeige sich nicht zuletzt bei der Belt-and-Road-Initiative, Chinas wirtschaftspolitischem Jahrhundertprojekt. Der Türkei kommt darin trotz geopolitischer Schlüssellage bis anhin nur eine untergeordnete Rolle zu. Der wichtigste europäische Hafen im chinesischen Masterplan, Piräus, liegt beim Erzfeind in Griechenland. Gleichzeitig setzt die Türkei etwa beim Ausbau des strategisch wichtigen Eisenbahnnetzes auf Deutschland statt auf China.

Innenpolitisch heikel

Dennoch bleibt der Eindruck, dass die Türkei das uigurische Brudervolk für einige Milliarden aus China verraten hat. Innenpolitisch sei das für die gegenwärtige Regierungskoalition potenziell heikel, meint Colakoglu. Schliesslich verträten die religiös-konservative AKP von Präsident Erdogan und ihr ultranationalistischer Koalitionspartner MHP Wählergruppen mit grosser Empfänglichkeit für panislamische beziehungsweise panturkistische Ideen. Daraus liesse sich für politische Gegner durchaus Kapital schlagen. Und tatsächlich fanden sich vergangene Woche bei einer pro-uigurischen Demonstration in Istanbul Vertreter säkular-nationalistischer sowie religiös-konservativer Oppositionsparteien. Ende März wird in der Türkei gewählt.

«Ich kann mir nur schon aus innenpolitischen Gründen nicht vorstellen, dass die Türkei so weit gehen wird, Uiguren (Uyghuren). nach China auszuschaffen», sagt Erkin Emet vom Weltkongress der Uiguren (Uyghuren). «Wir sind hier weiterhin sicher.» Jedoch nicht alle seiner Landsleute teilen diese Meinung. Der Flüchtling Ayup erzählt, dass mehrere seiner Bekannten bereits die Türkei verlassen hätten. «Die Sorge wächst. Darum wollen viele in den Westen, nach Deutschland oder England.» Darüber, was ihn im Falle einer Rückkehr nach China erwarten würde, macht sich Ayup keine Illusionen. Seit seiner Flucht 2015 wurden bereits ein Bruder, zwei Schwestern und zwei Cousins in ein Umerziehungslager gesteckt.



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Quelle: https://www.nzz.ch/international/erdogan-china-wird-zum-neuen-freund-uiguren-haben-das-nachsehen-ld.1454181


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