Sicherheitsalarm an Seidenstraße

China, Xinjiang, Urumqi…

Strenge Kontrollen nach Anschlägen in angeblich chinesischer Uiguren (Uyghuren) -Provinz, Volksgruppe fühlt sich diskriminiert.

Selbst der Fluss, der sich einst durch Urumqi schlängelte, musste den neuen Zeiten weichen. Weil die Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt, wie alle Metropolen in China, neue Verkehrsadern dringend benötigt, wurde das alte Flussbett flugs zum mehrspurigen Highway, auf dem sich jetzt dicht an dicht die Autos drängen. Nicht nur hier, sondern in der gesamten Provinz Xinjiang (Uyghuristan), im äußersten Westen des Landes (siehe Grafik), hat sich viel verändert. Das birgt Sprengstoff, buchstäblich.

Immer wieder lancieren Islamisten Anschläge in der Region, in der Muslime der Volksgruppe der Uiguren (Uyghuren) die Mehrheit stellen. Die Terroristen, die teils im angrenzenden Afghanistan und Pakistan ausgebildet wurden, wollen ein unabhängiges „Ost-Turkestan“ herbeibomben, meist sind es aber eher Verzweiflungsangriffe Einzelner mit Messern oder Ähnlichem.

Metalldetektoren

Die Sicherheitsvorkehrungen sind dennoch enorm: Zufahrten zu Tankstellen sind mit Betonblöcken geschützt, die zwei Schranken zu den Zapfsäulen gehen erst nach einer Kofferrauminspektion hoch. In Hotels, Shoppingcenter oder Supermärkte gelangt man nur durch Metalldetektoren-Schleusen, Rucksäcke werden wie auf Flughäfen gescannt, Feuerzeuge muss man abgeben.

Peking versucht mit allen Mitteln, Xinjiang (Uyghuristan) , wo ein Drittel der Ölreserven des Reiches der Mitte schlummert, zu stabilisieren – und flutet seit Jahrzehnten die Provinz mit Han-Chinesen: Vor sechs Jahrzehnten stellten sie bloß sechs Prozent der Bevölkerung, die Uiguren (Uyghuren) 80 Prozent. Heute machen die Han-Chinesen 40 Prozent der 22 Millionen Einwohner aus, die Uiguren (Uyghuren) kommen nur mehr auf knapp 50 Prozent. Und nach diversen Attentaten sowie einem Gewaltausbruch 2009, bei dem nach offiziellen Angaben rund 150 Menschen getötet wurden, laut Augenzeugen 600 bis 800, stünde die Volksgruppe bei den Behörden unter Generalverdacht, beklagen Uiguren (Uyghuren) -Aktivisten.

„Menschenrechts-Nobelpreis“ für Dissidenten

Und sie orten auch eine generelle Diskriminierung: Die gut dotierten Jobs bekämen bloß Han-Chinesen, und auch die einflussreichen. Der als moderat eingestufte Ilham Tohti sprach von „Apartheid“. 2014 wurde an ihm deswegen ein Exempel statuiert: Er wurde wegen „Anstiftung zum Separatismus“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Westen gab es Proteste, am Dienstag eine Auszeichnung: Tohti erhielt den Martin-Ennals-Preis. Dieser, verliehen von den zehn weltweit führenden Menschenrechtsorganisationen, gilt als eine Art Nobelpreis in dieser Kategorie.

Das offizielle China dementiert alle ethnischen Spannungen. Der KURIER-Reporter wird ständig daran erinnert, dass es in Xinjiang (Uyghuristan) 55 Volksgruppe gebe, die alle friedlich zusammenlebten. Als Beweis dafür wird unsere Gruppe, bestehend aus Journalisten und (westlichen) Regierungsvertretern, ins Haus von Zhang Changming gelotst. Der kasachische Patriarch, der zu einem opulenten Mahl lädt, betont gerne, dass sich sein 27-köpfiger Familienclan aus sechs Ethnien zusammensetze. Als der KURIER den mitgereisten Informationsminister der Region zu der Thematik genauer befragen wollte, lehnte dieser ab.

Hier gehen die Uhren anders

Später geht es weiter zu dem Uiguren (Uyghuren) Shalakqang Yiming, 69, der vor den Behördenvertretern China in den höchsten Tönen lobt und alljährlich zum Nationalfeiertag am 1. Oktober die chinesische Fahne in seinem Garten hisst. Dass die Uhren in dieser Provinz, dreieinhalb Flugstunden westlich von Peking, aber doch anders gehen, zeigt die seine unter der Gartenlaube: Halb drei zeigt sie, dabei ist es eigentlich schon halb fünf – Xinjiang (Uyghuristan) hat die Vereinheitlichung der Zeit nicht mitgemacht und lebt großteils nach seinem (dem Sonnenstand angepassten) Rhythmus. Da sperren die Geschäfte eben erst um zehn Uhr auf und haben bis acht Uhr offen.

Nobel-Einkaufstempel

Ansonsten aber spielt sich hier in der Region, gelegen an der alten Seidenstraße, die jetzt eine Renaissance feiern soll, dasselbe ab, wie in so vielen Teilen des Reiches der Mitte. Vor allem in Urumqi wird gebaut auf Teufel komm raus. Ständig wächst die Skyline der Stadt um weitere Hochhäuser vor dem Hintergrund des spektakulären Tianshan-Gebirges mit seiner schneebedeckten Siebentausender-Kette. In noblen Einkaufstempeln können betuchte Chinesen internationale Markenware erstehen – von Hilfiger über Swatch bis Swarovski.

Und unweit von Urumqi wurde das „Große Theater“ in Form einer golden glänzende Kuppel ins flache Land gesetzt. Auf dem riesigen Bühnenbereich mit mehr als 4000 Quadratmetern, der sogar Wasserspiele zulässt und den echte Kamele und Pferde durchmessen, lassen die Darsteller die alte Seidenstraße wiederauferstehen. In den buntesten Farben und mit fantastischen Projektionen, die die Illusion der Weite erzeugen, wird in dieser Glitzer-Show das Zusammenleben der Völker gepriesen – ehe der Besucher wieder ins Hier und Heute entlassen wird. Das ist freilich um einiges grauer.

 

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Quelle: https://kurier.at/politik/ausland/sicherheitsalarm-an-seidenstrasse/224.924.340

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