Davongekommen

In München finden viele Schutz, die in ihrer Heimat unterdrückt würden. Glücklich macht sie das aber nicht unbedingt

Blut, überall Blut. Die Straße ist voll davon, vom Asphalt nichts mehr zu sehen. So erinnert sich Turker (Name geändert) an den Einmarsch der chinesischen Soldaten in seinen Heimatort. Der liegt in China, in der Provinz Xinjiang (Uyghuristan) die vom Turkvolk der Uyghuren bevölkert wird und mehrheitlich muslimisch ist. Immer wieder gibt es dort Unruhen. Turker, 27, floh deshalb vor mehr als fünf Jahren.

Schutz gefunden hat er in München – wie so viele Angehörige unterdrückter Minderheiten in aller Welt. Auch Xezal, 22, und Egid, 26, (Namen geändert) kommen aus einer Region, die im Konflikt mit der nationalen Regierung steht. Ihre Familien sind in den 1990er-Jahren aus dem kurdischen Teil der Türkei geflohen. Seit 1984 wird der Konflikt dort in unterschiedlicher Intensität und sehr blutig geführt, vor Kurzem scheiterten Friedensverhandlungen erneut. Egids Lächeln ist freundlich, aber wenn er über die Situation der Kurden spricht, verdunkelt sich seine Miene. Dasselbe gilt für Xezal. Ständig streift sie sich ihr langes, schwarzes Haar aus dem Gesicht. Beide engagieren sich für die Rechte von Kurdinnen und Kurden, beide hatten deshalb schon häufiger Ärger mit deutschen Behörden – so wie ihre Eltern, die als PKK-Sympathisanten galten. Die kurdische Arbeiterpartei wird als Terrororganisation eingestuft, auch von der EU. Damit in Verbindung gebracht zu werden, ist auch heute noch problematisch.

Zu Recht, findet Ferhad Ibrahim Seyder von der Arbeitsstelle für kurdische Studien der Uni Erfurt: „Nach Ende des ersten Bürgerkriegs ging es bergauf mit der Region. Überall wurden Schulen gebaut, die Infrastruktur verbessert, es wurden sogar kurdische Lehrer eingestellt. Der sinnlose Krieg der PKK hat alles zunichte gemacht.“ Es sei nur richtig, sie als Terrororganisation einzustufen. Denn sie manipuliere die Bevölkerung, um einen Kriegszustand zu erhalten. Xezal und Egid hingegen kritisieren zwar, mit welchen Mitteln die PKK für ihre Ziele kämpft, stehen aber hinter diesen. Und träumen von einem radikaldemokratischen, kurdischen Autonomiegebiet, eine Idee, die auch der Kurdenführer Abdullah Öcalan vertritt.

Im Fall der Uiguren (Uyghuren) ist die Sachlage klarer: Regelmäßig gibt es Berichte über systematische Repressionen gegen Uiguren (Uyghuren), etwa von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. In München hat eine der weltweit wichtigsten Vertretungen der Minderheit ihren Sitz: der Weltkongress der Uiguren (Uyghuren). Von hier aus versucht er, die Interessen des Volkes auf der ganzen Welt zu vertreten. Zwischen 500 und 600 Uiguren (Uyghuren) gibt es in München – das sind etwa 90 bis 95 Prozent aller in Deutschland lebenden Uiguren (Uyghuren). Turker hat in München eine neue Heimat gefunden, aber nicht unbedingt Ruhe. Er spricht schnell, gestikuliert viel. Er will seinen echten Namen nicht nennen, möchte nicht fotografiert werden. Ständig sieht er sich um, dämpft die Stimme, wenn jemand vorbei geht.

Turker ist aus China geflogen. Dort war er Journalist und betrieb eine regierungskritische, islamische Internetseite. Sie wurde von den chinesischen Behörden gesperrt – damit hatte Turker sogar Glück: „Wenige Wochen nach der Sperrung wurde ein Gesetz erlassen, das mindestens zehn Jahre Gefängnisstrafe auf das Betreiben solcher Websites stellt“, sagt er. „Wäre meine Seite noch online gewesen, wäre ich heute nicht hier.“ Die Situation in seiner Heimatregion habe sich seitdem drastisch verschlechtert. Turker erzählt von Gerüchten, dass chinesische Lokalbehörden systematischen Organhandel mit uigurischen Kindern betrieben. Beweise dafür kann er nicht präsentieren, aber als vor wenigen Jahren ein Fall Aufsehen erregte, dass chinesische Behörden Organe gefangener Uiguren (Uyghuren) verkauften, bestätigten Amnesty International und andere Nichtregierungsorganisationen die Anschuldigungen.

Turker selbst hat das ganze Ausmaß der Diskriminierung erst nach seinem Schulabschluss erlebt, wie er berichtet. Als er sich auf freie Stellen als Journalist bewarb, wurde ihm vielerorts gesagt: Die Stelle sei nur für Han-Chinesen. Einmal wurde er auf der Straße von einem Polizisten kontrolliert, er wollte den Ausweis sehen. „Nachdem er mich alle meine Daten abgefragt hat, sollte ich noch die Ausweisnummer sagen. Aber die hat 16 Stellen!“ Weil er diese nicht auswendig aufsagen konnte, sei er stundenlang verhört worden. Am Ende habe ihn die Polizei doch laufen lassen.

Auch Egid hat einige Erfahrungen mit der Polizei gemacht, allerdings mit der deutschen. Mit der Folge, dass er heute staatenlos ist. Die türkische Staatsbürgerschaft will er nicht („Türke bin ich nicht“), die deutsche wird ihm verwehrt, auch wenn er hier geboren ist, perfekt deutsch spricht und einen Beruf hat. Die Begründung: Teilnahme an diversen pro-kurdischen Demos, die auch mal gegen Auflagen verstießen. „Irgendwann ist es wohl einfach zu viel geworden“, sagt Egid und grinst. Aber hinter dem Grinsen verbirgt sich eine ernste Frage, die nach der Identität der beiden. „Wenn mich wer fragt, was ich eigentlich genau bin, muss ich immer erst nachdenken. Und wenn ich dann Kurdin sage, verstehen mich die meisten nicht“, erzählt Xezal.

Turkers Sorgen sind andere: „In China hatte ich jedes Mal Herzklopfen, wenn ich mein Haus verlassen habe. In München fühle ich mich sicher.“ Anfangs war Deutschland ein Kulturschock für ihn. In Köln kam er an, in der Hoffnung, Arbeit zu finden; dann zog er nach München. Aber ohne Deutsch zu sprechen, war das schwierig. Er fand keine Stelle, war sogar eine Zeit arbeitslos. Unterstützung bekam er erst einmal keine. „Mir wurde gesagt, ich soll doch nach Köln zurückgehen“, sagt Turker. Heute ist er glücklich in München. Er arbeitet in einem Supermarkt an der Kasse, seine Frau in einem Labor. „In China hätte man ihr das Kopftuch verboten. In Deutschland findet ihr Chef das gut, denn es ist hygienischer,“ sagt er. Sorgen bereitet Turker, dass die Stimmung aus seiner Sicht ausländerfeindlicher werde. Hin und wieder sagen ihm Leute, dass er gefälligst in seine Heimat zurückkehren solle. Aber wirklich Angst hat er nicht, denn „in München gibt es Gesetze und Polizisten, die mich im Zweifelsfall schützen,“ sagt er.

Auch Egid und Xezal fühlen sich sicher in München, physisch. Um Leib und Leben müssen sie nicht fürchten. Verbittert sind sie trotzdem, wie sie sagen, besonders weil ihnen die deutschen Behörden sehr häufig Steine in den Weg legen. „Wir erleben in München oft eine Art vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Türkei. Hier verbieten sie zum Beispiel Fahnen oder Spruchbänder, die wir sonst in Deutschland unbehelligt tragen dürfen“, klagt Xezal. Wie Egid ist die dennoch davon überzeugt, dass es eines Tages ein Kurdistan geben wird. Auch wenn ihre Heimat München ist, wollen sie beide eines Tages dorthin. „Ich bin Kurde und ich würde gerne in einem kurdischen Land leben“, sagt Egid mit leuchtenden Augen.

Und Turker? Er ist weit entfernt davon München jemals wieder zu verlassen, er sagt klar: „Meine Heimat ist München. Ich will nirgendwo anders leben.“

 

Dieser Artikel wurde bei uns Editiert.

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/kurden-und-uiguren-davongekommen-1.3068420

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*