China erklärt Umweltverschmutzung den Krieg

China erklärt Umweltverschmutzung den Krieg

Das rasante Wirtschaftswachstum fordert seinen Tribut: Smog macht viele Großstädte in China fast unbewohnbar, Gewässer und Böden sind vergiftet. Nun werden die schlimmsten Dreckschleudern abgerissen.

In Chinas Großstädten ist der Smog Dauerzustand

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Ein Grund für die hohe Luftverschmutzung ist der Verkehr. Allein in Peking sind aktuell 5,37 Millionen Fahrzeuge zugelassen.<br />

Foto: dpa

Ein Grund für die hohe Luftverschmutzung ist der Verkehr. Allein in Peking sind aktuell 5,37 Millionen Fahrzeuge zugelassen.

Seit Jahren stand bei der Kommunistischen Partei Chinas vor allem eins auf der Agenda: Wachsen, was das Zeug hält, ohne Rücksicht auf Verluste. Das hat sich jetzt geändert: Den Protest der gestressten Großstädter vor Augen, will sich die Partei nun um den Umweltschutz kümmern.

Chinas neuer Regierungschef Li Keqiang machte diese Woche in seiner Eröffnungsrede vor dem chinesischen Volkskongress den Vergleich, dass der allgegenwärtige Smog die „rote Ampel der Natur“ sei, die China wegen seines blinden Wachstums gezeigt bekomme. „Wir erklären der Umweltverschmutzung den Krieg“, hat Li Keqiang ausgerufen. Neue Programme sollen die schlimmsten Folgen abschwächen, denn der Frust in der Bevölkerung wächst.

Die Umweltverschmutzung hat mittlerweile dramatische Ausmaße angenommen. Die extreme Schadstoffbelastung mache die chinesische Hauptstadt „fast unbewohnbar für menschliche Wesen“, stellte die renommierte Akademie der Sozialwissenschaften in Shanghai im Februar in einer Studie fest. Laut den jüngsten Zahlen des Umweltministeriums ist rund die Hälfte von Chinas Seen verschmutzt, und große Landflächen sind zu verseucht für Landwirtschaft.

Die Kapazität von veralteten Stahlfabriken soll um 27 Millionen Tonnen sowie die Zementproduktion um 42 Millionen Tonnen gesenkt werden, kündigte der Premier für dieses Jahr an. Darüber hinaus sollen 50.000 kleine Kohleöfen geschlossen werden. „Es ist ein langwieriger Krieg“, sagte Umweltminister Zhou Shengxian. „Wir müssen Geduld haben.“

 

Dramatische Schritte gefordert

 

Viele Abgeordnete fordern radikale Schritte. „Firmen müssen viel Geld bezahlen, wenn sie alle Umweltvorgaben umsetzen wollen. Aber die Strafen sind sehr gering“, klagt Han Baosheng, Vizepräsident der Kunstakademie von Xi’an.

 

Viele Fabrikbesitzer ignorieren daher einfach die Vorgaben aus Peking. „Wir brauchen eine strengere Überwachung“, sagt Han. Die Bevölkerung fordere dramatische Schritte, meint Chen Ailing, Chef eines Automobilzulieferers: „Die Bürger wollen, dass schädliche Fabriken geschlossen werden. Das ist ein Trend.“

 

In der Provinz Hebei nahe Peking, wo die Luft beinahe chronisch mit gelblichem Smog belastet ist, sind zuletzt bereits 35 Fabriken geschlossen oder abgerissen worden. Vor allem Stahl- und Zementfabriken sind betroffen. Hier fährt die Regierung bereits seit einiger Zeit die Produktion zurück. Das wird vor Ort, in den Fabriken, nicht gern gesehen. Durch die jüngste Welle der Fabrikschließungen in Pingshan haben 3780 Arbeiter ihren Job verloren.

 

„Ich möchte schon, dass die Regierung etwas tut, um die Luftqualität zu verbessern. Das ist gut für alle“, sagt Guo Quanquan, einer der Entlassenen. „Aber mein Leben hat sich seit der Schließung verschlechtert“. Der 52-Jährige ist jetzt auf die Unterstützung seiner beiden Söhne angewiesen.

 

Guos Nachbarin Jia Shufang erzählt, dass fast alle der 200 Haushalte im Dorf von der Zementproduktion gelebt hätten. Durchschnittlich 360 Euro pro Monat hätten die Arbeiter dort verdient. Jetzt müssen sie sich nach anderer Arbeit umschauen, etwa auf einem der Bauernhöfe, die hier Schweine, Rinder und Geflügel züchten. Aber „die meisten sitzen zu Hause und machen gar nichts“, sagt sie.

 

Wirtschaftliches Wachstum wichtiger als saubere Luft

 

Bis zum vergangenen Herbst haben sich die Provinzregierungen mehr oder weniger erfolgreich gegen Fabrikschließungen sträuben können. Für die Lokalpolitiker war das wirtschaftliche Wachstum wichtiger als saubere Luft. Aber seit September gibt es einen nationalen Aktionsplan mit der klaren Vorgabe, bis 2017 die Kontrolle über die Luftverschmutzung zu erlangen.

 

Inzwischen haben die Provinzregierungen reagiert und individuelle Pläne ausgearbeitet, um das Ziel zu erreichen. Aus Peking sollen umgerechnet fast 1,2 Milliarden Euro in die am schlimmsten betroffenen Gegenden investiert werden.

 

Außerdem wurde die Luftqualität als Kriterium für den wichtigen Leistungsvergleich der chinesischen Großstädte aufgenommen. Das erhöhe die Motivation der Lokalpolitiker, den Umweltschutz ernster zu nehmen, sagt Chinafachmann Brian Jackson von der Unternehmensberatung IHS Economics: „Gerade auf der Ebene der Provinzen wird jetzt der Druck erhöht“, sagt er.

 

In der Provinz Hebei ist die Verschmutzung besonders schlimm. Von den zehn chinesischen Städten mit der dreckigsten Luft liegen sieben in der Provinz, die Peking nahezu umschließt. Welchen wirtschaftlichen Effekt der Kahlschlag in der Zement- und Metallindustrie hat, ist noch nicht abzuschätzen.

 

Der Chef der Kommunistischen Partei der Provinz Hebei, Sun Ruibin, sagte der Tageszeitung „China Daily„: „Es mag sein, dass die Wirtschaft etwas langsamer wächst, aber dafür wird das Lebensumfeld besser, und das ist es wert“. Vor Ort sollen lokale Jobbörsen die entlassenen Arbeiter in neue Berufe vermitteln.

 

Schließung von Fabriken zeigt bislang kaum Wirkung

 

Der halsbrecherische Wachstumskurs der chinesischen Wirtschaft führte in den vergangenen 20 Jahren zu einer Luftverschmutzung in der Region, die auch mit der Schließung von 35 Fabriken nicht spürbar eingedämmt werden kann.

 

Erst kürzlich musste wieder Smogalarm gegeben werden – weitere 200 Fabriken mussten die Arbeit einstellen, in 550 Werken wurde die Produktion halbiert. „Die Zementfabriken sind weg“, sagt der entlassene Arbeiter Guo, „aber die Luftverschmutzung ist genauso wie früher.“

 

Professor Wu Qiang von der renommierten Tsinghua Universität warnt: „Die Umweltverschmutzung könnte zu einer gewaltigen Gefahr für die Partei werden.“ Die verpestete Umwelt habe das Potenzial, zu einer Art chinesischem Tschernobyl zu werden, das das gesamte politische System infrage stellen könnte. „Wir sehen jetzt schon, dass ein Großteil der Mittelschicht über Auswanderung nachdenkt“, sagt Wu Qiang der Nachrichtenagentur dpa in Peking.

 

Fieberhaft arbeiten Politiker und Wissenschaftler in China bereits seit Jahren an Lösungen. Aber die Umsetzung von ambitionierten Plänen ist schwierig. Denn Chinas schnelles Wirtschaftswachstum treibt den gewaltigen Energiehunger an. Obwohl Peking so viel wie kaum ein anderes Land der Welt in regenerative Energieversorgung investiert, steigt der Verbrauch von fossilen Brennstoffen weiter an.

 

Bis zum Jahr 2035 wird Kohle die wichtigste Energiequelle bleiben und das Land 47 Prozent mehr des klimaschädlichen CO2 in die Luft blasen, prognostiziert der Energiekonzern BP.

 

Für wichtige Fragen sei der Volkskongress ohnehin nutzlos, klagt Wu Lihong. Er ist einer der bekanntesten Umweltschützer Chinas und hat drei Jahre im Gefängnis gesessen. „Die Abgeordneten trauen sich nichts zu sagen, was nicht offiziell abgesegnet ist“, kritisiert er. Trotz aller Regierungsrhetorik dulde Peking keine Bürgerbewegung für Umweltschutz. „Viele Umweltaktivisten werden verfolgt und verhaftet.“

http://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article125550036/China-erklaert-Umweltverschmutzung-den-Krieg.html

 

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