Zwischen Pragmatismus, Angst und Schadenfreude

China sieht im Scheitern der Militärintervention in Afghanistan einen Beleg für die schwindende Macht der USA. Gleichzeitig verfolgt China dort wirtschaftliche Interessen. Der Umgang mit den Taliban ist geprägt von Pragmatismus – und Angst.

Die Kommentatoren in den chinesischen Staatsmedien waren voller Häme. Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, die Evakuierung westlicher Botschaftsmitarbeiter, das sei der Saigon-Moment der Amerikaner, hieß es unter Verweis auf die Evakuierung der US-Botschaft am Ende des Vietnamkrieges vor 46 Jahren. „Der Fall Kabuls läutet die Todesglocke für den Niedergang der US-Hegemonie ein“, titelte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Doch bei aller Schadenfreude – Chinas Führung blickt auch sorgenvoll Richtung Afghanistan. In Peking sagt das niemand laut: Aber China hat lange von der US-Präsenz in Afghanistan profitiert – schuf sie doch ein Minimum an Stabilität. Dass jetzt die Taliban die Macht übernehmen, ist auch für Peking schwierig. Die gemeinsame Grenze mit Afghanistan ist zwar nur 76 Kilometer lang – ein unzugänglicher Pass in extremer Höhe. Dennoch fürchtet Peking, dass radikale Islamisten nach China einsickern könnten – in die Grenzregion Xinjiang (Uyghuristan).

Peking pflegt gute Beziehungen zu den Taliban

Fan Hongda von der Shanghaier Universität für internationale Studien mahnte schon vor Tagen: „Als Nachbarland und wichtiges Land in der Welt muss China Afghanistan helfen, Stabilität und Frieden herzustellen – schon wegen unserer eigenen nationalen Sicherheitsinteressen.“ Obwohl China im eigenen Land den Islam unterdrückt und muslimische Uiguren (Uyghuren) in Umerziehungslager sperrt, pflegt Peking gute Beziehungen zu den Taliban: etwa im Juli bei einem Treffen von Außenminister Wang Yi mit einer Delegation unter Leitung des Talibanführers Abdul Ghani Baradar.

Auch gestern war China eines der ersten Länder, die den neuen Machthabern in Kabul „freundliche Beziehungen“ anboten. „China respektiert das Recht des afghanischen Volkes, über sein Schicksal und seine Zukunft zu entscheiden“, sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying. „Wir sind bereit weiterhin gut-nachbarschaftliche Beziehungen mit Afghanistan zu pflegen und eine konstruktive Rolle im Wiederaufbau und der Entwicklung des Landes zu spielen.“

Hochriskante strategische Möglichkeiten

Die Taliban wiederum sind an Investitionen aus China interessiert und erhoffen sich durch die Beziehungen zu Peking mehr internationale Anerkennung. Damit tun sich für China neue strategische Möglichkeiten auf, die allerdings hochriskant sind. Eine Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern in Kabul könnte China Infrastruktur-Aufträge bescheren, bestehende Milliarden-Investitionen absichern und Chinas neuer Seidenstraße neue Impulse geben – gilt doch Afghanistan als wichtiges Bindeglied zu den Staaten Zentralasiens.

Aber Peking bleibt vorsichtig. China erwarte, dass die Taliban ihre Zusagen umsetzen: einen reibungslosen Übergang in Afghanistan sicherzustellen und jede Art von Terrorismus und Gewalt einzudämmen, so Außenamtssprecherin Hua. Die chinesische Botschaft in Kabul hat Peking bislang nicht geschlossen. Doch die Sicherungen an der schmalen Grenze zu Afghanistan wurden laut Medienberichten schon vor Monaten verstärkt. Als ausgemacht gilt auch, dass sich China nicht in militärische Abenteuer in Afghanistan hineinziehen lassen will. Staatsmedien warnen seit Tagen: Nicht von ungefähr gelte Afghanistan als „Friedhof der Imperien“.

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Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/china-afghanistan-105.html

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